Die Krabbenfahrt - Eine Geschichte über den normalen japanischen Fresswahnsinn

Der Japaner ist Gourmet, allseits bekannt. Er liebt die Organisation, das Schnäppchen und den Kurzurlaub. Alles weitläufig bekannt. Die Symbiose all dessen ist der perfekt organisierte und strukturierte Tagesausflug mit dem Bus zum Krabbenfressen zum Schnäppchenpreis. Auf geht's nach Tottori!

7:00 Uhr: Abfahrt von Osaka. Saukalt draußen, es ist schließlich Winter und 7 Uhr.

Erstmal ein bisschen schlummern. Schließlich wird es ein langer Tag. Andere schnäppchenjagende Krabbenliebhaber wollen noch abgeholt werden.

9:30 Uhr: 30-Minuten-Rastplatzstopp respektive erste Möglichkeit Essen sowie die obligatorischen Omiyage (Fressmitbringsel für alle die nicht dabei sind) einzukaufen. Die Fahrteilnehmer nehmen allesamt das Angebot dankbar an.

10:00: Zurück im Bus. Takoyaki (Oktopusbällchen) zum Warm-up. Wir sind ja schließlich nicht zum Spaß dabei.

10:30 Uhr: 30-Minuten-Stopp an einem Landsupermarkt mit Fressspezialitäten der Region. Es liegt viel Schnee, überall. Die Landschaft, die Häuser, alles sieht ziemlich prächtig aus unter den weißen Massen. Aber keine Zeit für visuellen Genuss. Schnellster Weg vom Bus zum Landsupermarkt.

Die gesamte Busmannschaft kauft motiviert ein, verzehrt in Anbetracht des anstehenden Krabbenfressens jedoch nichts. Schließlich muss Hunger mitgebracht werden. Das zumindest lässt die dicke Reiseführerin mehrmals von sich verlauten, die offensichtlich aus jahrelanger Erfahrung spricht. Kurze Ratespielchen folgen im Bus, die Meute wird auf ihre Beute vorbereitet.

12:00 Uhr: Höhepunkt des Tages und eigentlicher Grund der Reise: Krabbenfressen für 1 Stunde 40 Minuten minus des Besuchs der Topsehenswürdigkeit des Tages, der Tottori-Sanddünen. Ein Saal voller Krabben und den dazugehörigen Fressern. Verzehrfertig aufgetischt wartet pro Person Folgendes...

Ganze gekochte Krabbe, Krabbensashimi, Udon mit Krabbe, Soba mit geschredderter Krabbe, Reis mit Krabbe, Krabbenshoumai, gedämpfte Krabbe, Krabbenpudding, gegrillte Krabbe, frittierte Krabbenbällchen, frittierte Krabbe, japanisches Kartoffelmousse mit Krabbe, Krabbengratin und Krabbencremekroketten.

Reinhauen was das Zeuch hält, mit Hand und Zahn und einer zusätzlichen Krabbenpulwaffe dem Schallentier auf die Pelle rücken. Ein großes Vergnügen und ein Wettlauf gegen die Zeit. Der Krieg wird nach 60 Minuten siegreich beendet. Spurt vom Schlachtfeld zu den glücklicherweise direkt vor dem Krabbenfresstempel liegenden und pittoresk mit Schnee bedeckten Sanddünen.

Zeit bleibt kaum, soll der geplante und dringlich von der Reiseleitung empfohlene Gang zum Stillen Örtchen nicht ausgespart werden. Die frische Luft tut gut, der kalte Rauch meiner Zigarette entspannt. Meine Finger riechen nach Krabbe, wahrscheinlich für den Rest meines Lebens. Fotos werden mit der Geschwindigkeit einer AK-47 geschossen. Noch 5 Minuten. Schnell zum Lokus.

Für die angeblich weltbekannte Birnensofteisspezialität auf dem Weg zum Bus ist weder Zeit, noch Platz in meinem Körper. Das gilt nicht für alle. Die Hälfte der Krabbencrew schleckt beim Betreten des Buses an der Birnensofteisspezialität. Und weil es ein Zuviel an diesem Tage nicht geben darf, liegen mehrere Süßigkeiten auf jedem Bussitz. Denen, die Hunger leiden...

2:30: 30-Minuten-Besuch des berühmten Ube-Shinto-Schreins, der die erste 5-Yen-Banknote ziert. Selbstverständlich, dass heute eine kleine Spende zu größerem in der Zukunft liegendem Reichtum führt. Das hat sich rumgesprochen. 10 andere Busse parken schon vor dem Eingangstor. Die Zeit läuft, viele schneebematschte Stufen müssen bewältigend werden. Durchsetzungsvermögens ist gefragt.

Meine Schuhe sind Matschzapfen, meine Füße Eiszapfen.

Fotos schießen, spenden und das Jahreshoroskop abholen. Den kleinen Zettel noch schnell irgendwo hinbinden. Toilette. Rückzug zum Bus.

17:00: 20-Minuten-Rastplatzhalt. Letzte Möglichkeit Omiyage, Snacks und Getränke einzukaufen. Den Toilettengang nicht vergessen. Gott sei Dank hatte die pummelige Hirtin unserer Herde uns auf die fantastischen und einzigartigen Kroketten hingewiesen, denn selbst ein dämlicher Autobahnrastplatz muss in Japan für irgendein Fresshighlight berühmt sein. Nach 20 Minuten ist folgerichtig der gesamte Bus mit Kroketten bewaffnet. Die heiße Klimaanlagenluft ist Frittierduft getränkt. Glücklich beiße ich in die knusprige Krokette, mampfe die heiße Kartoffelfüllung und labe mich an meiner eiskalten Cola. Nach einer Stunde Fahrt beschleicht mich allmählich ein sehr ungutes Gefühl. Harndrang keimt und wächst in mir minütlich. Selbstverständlich hatte ich der Anweisung der Pummeligen Folge geleistet und mich vollständig beim letzten Rastplatz entleert. Die letzte Stunde wird zur Qual.

19:30: Ankunft in Osaka. Die Reisehirtin, schon über die Aktualität meines Problems benachrichtigt, öffnet mir die Bustür. Ich springe heraus, renne 20 Meter vom Bus an einem Zaun entlang und dünge eine Wiese. Befriedigt schlendere ich zurück. Ein schöner Tag, ich bin glücklich.

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