Immer wenn es schneit in Tokio...

Das ist zwar nicht so oft, aber wenn, dann schlittert die Stadt in den Ausnahmezustand. Alarmstufe weiß. Heute wurde die höchste "Schnee"-Alarmstufe für Tokio seit 13 Jahren herausgegeben.

Sämtliche Fernsehstationen berichten, möglichst in Echtzeit, über alles was aufgrund der „japanischen Weiße“ zu Veränderungen führen könnte. Das wichtigste, weil das, was die Stadt am Laufen hält, ist das Bahnnetz. Wenn das Blut in ihren Adern gefriert steht Tokio still. Keine Bahn, keine Arbeit, keine Schule, keine Bewegung, kein Leben.

Zwei meiner drei Studenten für heute haben sich bereits entschuldigt. Zuviel Schnee wurde angekündigt. Einer hatte bereits gestern Abend seine Befürchtungen mir per Kurznachricht mitgeteilt und in weißer Vorsicht abgesagt. In meiner Japanischklasse gestern Abend gab es nur ein Thema. „Ashita yuki ga furimasu“ - Schnee Morgen! Alle Lehrer warnten, als würde es sich dabei um die Apokalypse handeln. Für meinen Studienkollegen aus Nigeria stand zu diesem Zeitpunkt schon fest, dass ein Verlassen seiner Wohnung heute unter keinen Umständen in Betracht gezogen werden könnte. Aber auch irgendwie alles verständlich. Für ein Land, so von Erdbeben gebeutelt wie Japan, hat Prävention wo es geht höchste Priorität. Das wissen mittlerweile sogar die Ausländer.

Heute beginnen die Wettbewerbe der Olympischen Spiele in Russland. Passt. Tokio verwandelt sich in (Klein-)Sotschi. Wenn auch ungewollt. Aber für viele, die heute am Samstag freihaben, nicht mit Bahn, Auto oder Flugzeug reisen müssen, kommt der Schnee nicht ungelegen. Die Spiele im Fernsehen mit der Familie schauen mit einem leicht porösen Schneeteppich vor dem Fenster als Background-Installation. Authentisch. Heißen Sake trinken, etwas Warmes essen und die Füßen zusammen mit dem Rest der Familie unter den elektrischen Heiztisch klemmen. What a life! (Ich alter Nostalgiker. Die meisten werden vermutlich ein kühles Bier öffnen, die Klimaanlage einschalten und sich auf's Sofa legen.) Auch den Kleinsten gefällt's. Sie spielen schon auf den Straßen, bauen Schneemänner und ulken herum. Eine echte Abwechslung in einer Stadt, die äußerst selten unter einer weißen Decke verschwindet. Im TV berichten Reporter von "draußen". Eingepackt, einer K2-Besteigung würdig, inspizieren sie den Schnee kristallgenau und erklären mit leuchtenden Kinderaugen das Geräusch beim Laufen über die weiße Watte. „Knirsch, knirsch.“ - „Nur etwas heller und trockener“, fügen sie hinzu. Wie auch immer sich das in japanischen Ohren anhören mag. Niedlich und positiv belustigend ist es allemal.

Schlimm ist's nur für jene, die etwas sehr Wichtiges zu erledigen haben. Heute beginnen beispielsweise für einige angehende Studenten die ersten Aufnahmeprüfungen an den Universitäten. Ein Tag auf den sich jahrelang vorbereitet wird. Wer einmal genommen, das gilt besonders für die namenhaften (Erziehungs-)Anstalten des Landes, hat einen gehobenen Posten in Wirtschaft oder Politik später sicher. Bis jetzt sind nur Verzögerungen der Eintrittsexamen angekündigt. Wenigstens weis jeder Bescheid. Das Fernsehen berichtet ja.

Das der Highway geschlossen ist und kaum Flieger abheben werden, wird nur am Rande erwähnt. In Deutschland wäre die Berichterstattung wohl genau anders herum. Straßen spielen in Tokio eine eher untergeordnete Rolle. Trotzdem gibt es Dinge, die überall auf der Welt gleich sind. Glücklicherweise auch die Farbe des Schnees. Der ist hier nämlich auch weiß.

 

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Comments: 1
  • #1

    Lucie (Saturday, 08 February 2014 14:33)

    Hallo Sebastian
    Wir lesen gerade deinen Blog. Viel Spaß im Schnee. Bei uns sind 12 Grad.
    Liebe Grüße
    Lucie